Das Nestmodell. Vor- und Nachteile aus dem echten Leben.

Eine Trennung ist selten einfach, besonders wenn Kinder involviert sind. Der Erziehungs- und Bildungswissenschaftler Oliver* hat bisher in zwei Fällen, als Mitarbeiter des Jugendamtes, zum Nestmodell begleitet. In diesem Gastbeitrag teilt er seine Erkenntnisse und Erfahrungen. Dabei geht er insbesondere auf die Vor- und Nachteile dieses Modells ein, das in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat.

Oliver, leg los:

Das Nestmodell ist eine interessante Herangehensweise, bei der die Kinder nach der Trennung im gemeinsamen Zuhause wohnen bleiben, während sich die Eltern wochenweise abwechseln, um vor Ort für sie zu sorgen. Dieses Modell hat Vor- und Nachteile, die ich anhand der nachfolgenden kontroversen Fallbeispiele aus der Praxis des Jugendamtes vergleichen möchte.

Beginnen wir mit dem Nestmodell per Beschluss. Ausgangssituation Kindesmutter & Kindesvater, Kinder 4 und 8 Jahre alt. Elterntrennung 2020.

In diesem Fallbeispiel, war das Nestmodell nicht von den Kindeseltern gewünscht oder forciert. Vielmehr war es das Ergebnis intensiver Streitigkeiten über sämtliche Belange der Scheidung und des Umgangs, die letztendlich zu einem Antrag auf Umgangsregelung führten. Die Entscheidung für das Nestmodell kam von der Richterin, die bereits die Scheidung und Gütertrennung vorgenommen hatte.

Die Besonderheit in diesem Fall war, dass das gemeinsame Haus nicht verkauft wurde und eine gegenseitige Auszahlung unwahrscheinlich schien. Die Richterin erkannte die erhebliche Bindung der Kinder zu diesem Haus und sah die Möglichkeit, ein Nestmodell zu installieren. Der Wechseltag wurde auf den Sonntag, um 17:00 Uhr festgelegt.

Jedoch wurde bei der Umsetzung nicht bedacht, dass die Großeltern mütterlicherseits gegenüber dem Haus lebten, und somit die Wechselwohnung der Mutter im Haus der Großeltern lag. Dies führte zu ständigen Konflikten und Streitigkeiten während der Umgangswoche des Kindesvaters, da er sich bevormundet und kontrolliert fühlte.

Trotz der positiven Äußerungen der Kinder zum Modell, konnten sie die Konflikte der Kindeseltern nicht aushalten und waren stark mit dem Loyalitätskonflikt belastet. Nach etwa 7 Monaten musste das Modell abgebrochen werden.

 Die Herausforderung im System. Warum hat es nicht funktioniert?

  • Die Umsetzung eines gerichtlichen Beschlusses wird selten von Kindeseltern harmonisch, entspannt und ohne weitere Streitigkeiten umgesetzt

  • das Modell war nicht von den Kindeseltern gewünscht oder forciert

  • keine geeignete Kommunikationsbasis zwischen den Kindeseltern

  • kein wechselseitiger Vertrauensvorschuss

  • keine Selbstfindung nach dem Trennungsprozess zu den Zukunftsaussichten.

Das Nestmodell als Zufall. Kindesmutter & sozialer Vater*, Kinder 7 und 10 Jahre alt Elterntrennung 2021. *nicht der leibliche Vater der Kinder.

Nachdem ich zuvor einen Fall geschildert habe, in dem das Nestmodell keine erfolgreiche Lösung war, möchte ich nun eine positive Erfahrung teilen. Hierbei handelt es sich um eine Familie, die ich zunächst im Rahmen der Hilfe zur Erziehung begleitet habe.

Der Ausgangspunkt war die Verhaltensauffälligkeit eines der Kinder in der Schule, was zur Aufnahme in eine pädagogische Tagesgruppe gemäß § 32 SGB VIII führte. Während dieser Zeit entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit und Vertrauensbasis zwischen der Familie und mir. Doch im Laufe des Prozesses kamen die Kindesmutter und der soziale Vater auf mich zu, um ihre Beziehung zu beenden. Obwohl sie sich auseinandergelebt hatten, interessierten sie sich für Möglichkeiten des Umgangs, insbesondere aufgrund der ungewöhnlichen Situation, dass der (Ex-)Partner "nur" der soziale Vater für die Kinder war.

Nachdem verschiedene Umgangsmodelle vorgestellt wurden, entschieden sich die Kindeseltern zunächst dafür, als Wohngemeinschaft weiterzuleben. Mit der Zeit zog der soziale Vater aus, blieb aber regelmäßig in der Häuslichkeit der Kindesmutter. Gemeinsame Zeiten für die Kinder wurden organisiert, und es gab Abwechslung in der Betreuung nachmittags sowie bei den Hobbys.

Sechs Monate später trafen wir uns erneut zu einem Hilfeplangespräch in der Tagesgruppe. Der Junge hatte sich enorm positiv entwickelt, seine schulischen Leistungen waren gestiegen, und seine Impulsausbrüche hatten sich minimiert. Die Kindeseltern berichteten, dass sie das Nestmodell einfach ausprobieren wollten, da der bisherige Umgang sehr flexibel war und die Kinder sich über den Vorschlag freuten.

Die Wohnung, die der Kindesvater bereits bezogen hatte, wurde von beiden als Wechselwohnung genutzt, sodass nur zwei Haushalte notwendig waren. Das Familienhaus gehörte der Kindesmutter.

Die Schlüssel zum Erfolg in diesem Fall waren:

  • offene Kommunikation

  • das Abschließen der Rollen als Partner*innen in der vorherigen Beziehung,

  • sachliche Entscheidungen auf Elternebene,

  • der Austausch auf Augenhöhe

  • der Fokus auf die Bedürfnisse der Kinder.

Ein Blick auf die Vielfalt des Nestmodells nach der Trennung.

In diesem Beitrag haben wir zwei unterschiedliche Erfahrungen mit dem Nestmodell nach einer Trennung beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass diese Art der elterlichen Koexistenz verschiedene Facetten haben kann.

Im ersten Fall stellte sich das Nestmodell als herausfordernd heraus. Die fehlende Kommunikation und die anhaltenden Konflikte der Kindeseltern machten das Modell in der Praxis schwer umsetzbar. Trotz positiver Rückmeldungen der Kinder musste es nach sieben Monaten aufgegeben werden. Hier wird deutlich, dass das Nestmodell nicht immer die richtige Lösung ist und eine geeignete Kommunikationsbasis zwischen den Eltern fehlen kann.

Im zweiten Fall hingegen sehen wir, wie das Nestmodell in einer Familie erfolgreich umgesetzt wurde. Die offene Kommunikation, das Abschließen der Partnerrollen, sachliche Entscheidungen auf Elternebene und der Fokus auf die Bedürfnisse der Kinder führten zu einem positiven Ergebnis. Dieser Fall verdeutlicht, dass das Nestmodell dann funktionieren kann, wenn die Eltern in der Lage sind, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen und sich auf die Zukunftsperspektive ihrer Kinder zu konzentrieren.

Abschließend zeigt sich, dass das Nestmodell nach Trennungen eine Möglichkeit ist, die Betreuung der Kinder zu regeln, jedoch nicht für jede Familie geeignet ist. Die individuellen Umstände, die Beziehung der Eltern zueinander und vor allem das Wohl der Kinder sollten bei der Entscheidung für oder gegen das Nestmodell im Vordergrund stehen. Es ist wichtig, alle Optionen zu prüfen und professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen, um die beste Lösung für die Familie zu finden.

Vielfalt ist in dieser Hinsicht ein Schlüsselwort. Es gibt keine Einheitslösung, und jede Familie hat ihre eigenen Herausforderungen und Bedürfnisse. Das Nestmodell ist eine von vielen Optionen auf dem Weg zu einer geregelten und für alle Beteiligten akzeptablen Umgangsregelung nach einer Trennung.

Gastbeitrag von @fragdasjugendamt (Instagram)

*Der Name des Gastautors wurde von mir aus datenschutzrechtlichen Gründen geändert.

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Das Wechselmodell. Und was es dafür wirklich braucht.